‘Das Reich Gottes ist nahe herbeigekommen!‘

 

Dies sind Worte, die wir als Teil des Evangeliums am vergangenen Sonntag hörten. Dies ist das Grundsatzprogramm Jesu, dies ist seine Bekanntmachung, als er seine Mission beginnt. Und das gesamte Evangelium nach Markus und alle Taten Jesu, die darin beschrieben werden, sind die Entfaltung des Reiches Gottes. Das Reich Gottes kommt in die Welt in und durch Jesus Christus. Das Reich Gottes wird in Jesu Worten und Taten erfahren – und in den Worten un Taten derer, die er beruft, ihm nachzufolgen. Das Reich Gottes kommt nahe herbei, wo die Umstӓnde sich ӓndern, wo Gott seine Macht an unerwarteten Orten und in unerwarteten Situationen erweist. Das Reich Gottes kommt nahe herbei, wenn die Welt auf den Kopf gestellt wird.

 

Zunӓchst einmal beruft Jesus seine ersten Jünger am See Genezareth – die, die dazu berufen sind, gemeinsam mit Jesus das Reich Gottes den Menschen durch Wort und Tat nahezubringen. Dies ist seine allererste Tat, als er sein Wirken beginnt. Im heutigen Evangelium hören wir etwas über die zweite Tat Jesu. Jesus geht in eine Synagoge in Kapernaum, um dort zu lehren. Kapernaum liegt am Ufer des See Genezareth, und im Evangelium nach Johannes stammen auch Simon Petrus und Andreas, die allerersten Jünger, aus Kapernaum – das macht also alles Sinn. Nun hören wir nicht, was Jesus in der Synagoge lehrt. Aber wir erfahren etwas über die Reaktionen derer, die Jesus zuhören.

 

Zunӓchst einmal hören wir, daβ die, die sich in der Synagoge befinden, sich entsetzen, als sie Jesus hören, denn Jesus lehrt mit einer erstaunlichen Vollmacht. Und das Entsetzen mag daher stammen, daβ Jesus ein Fremder ist, ein Niemand, aus Nazareth – erst vor zwei Wochen hörten wir ja im Evangelium, daβ nichts Gutes aus Nazareth kommen kann – der Sohn eines Zimmermanns. Die Leute mögen sich entsetzen, weil Jesus eben nicht au seiner gelehrten Familie von Rabbinern stammt und auch keine Referenzen aufweisen kann, die seine Vollmacht berechtigen. Wer ist dieser Mensch?

 

Doch hören nicht nur die guten Bürger von Kapernaum zu. Da ist ein Mann, besessen von einem unreinen Geist, so lesen wir. Nun will ich nicht groβartig darüber spekulieren, was das wohl heiβen könnte uns warum die Menschen zu Jesu Zeiten annahmen, daβ es unreine Geister gab. Auf jeden Fall haben wir hier einen Mann, der von irgendeiner Krankheit besessen ist, ein Mann, der nicht er sebst ist, ein Mann, dessen Identitӓt durch sein Leiden verschüttet ist, da er mit den Mӓchten kӓmpft, die da Gewalt über ihn haben – ein Mensch, der durch sein Gebrechen definiert ist. Ich denke, viele unter uns sind solchen Menschen schon begegnet: den rasenden Irren auf den Straβen von San Francisco oder im BART Zug, Menschen, die an Abhӓngigkeiten leiden, Menschen, die von schweren Depressionen bedrückt werden.

 

Dieser unreine Geist in der Synagoge hört ganz genau zu, was Jesus sagt und lehrt. Und wӓhrend sich die anderen entsetzen, so weiβ dieser Geist, daβ das Reich Gottes nahe herbeigekommen ist, daβ die Tage aller dunklen Mӓchte gezӓht sind, und wer Jesus ist. ‚Was haben wir mit dir zu schaffen, Jesus von Nazareth? Bist du gekommen, um uns zu vernichten? Ich weiβ, wer du bist: der Heilige Gottes!’

 

Dies ist einfach unerwartet und schockierend: die Mӓchte des Dunkeln erkennen Jesus, bevor irgendjemand anderes ihn erkennt. Selbst die engen Vertrauten Jesu, die Jünger, brauchen eine ganze Weile, ehe sie kapieren, daβ Jesus der Messias, der Sohn Gottes, ist. Und dies ist der eigentliche Knackpunkt der Geschichte. Das Reich Gottes ist nahe herbeigekommen, und zwar nicht im mӓchtigen Tempel in Jerusalem, sondern in einer Synagoge im Provinznest Kapernaum. Und nicht die Frommen erkennen Gott in Jesus, sondern ein unreiner Geist.

 

Uns mag das heute nicht so besonders vorkommen, doch als diese Geschichte zunӓchst erzӓhlt und dann auch von Markus aufgeschrieben wurde, war das skandalös. Dieses Begebnis ist ein Zeugnis dafür, daβ, durch Gott, ganz unerwartete Dinge geschehen. Die Welt wird auf den Kopf gestellt.

 

Der Exorzismus, das Austreiben des unreinen Geistes, is lediglich eine Konsequenz der Anerkennung der Macht und Autoritӓt Jesu: Jesus befiehlt dem Geist, den Mann, den er besitzt, zu verlassen – und der Geist kann dieser Macht nicht widerstehen, sondern muβ gehorchen. Das Reich Gottes ist nahe herbeigekommen. Dunkle Mӓchte werden duruch die Macht Gottes besiegt. Ein neues Leben beginnt, ein Leben, das geheilt und heil ist.

 

Nun habe ich bereits letzte Woche gesagt, daβ Markus sein Evangelium mit Absicht so komponiert, wie wir es heute kennen. Es ist nicht zufӓllig, daβ Jesu erste öffentliche Handlung ein Exorzismus ist. Diese Handlung bereitet auf all das vor, was noch kommt: da Gottes Reich kommt, müssen andere Mӓchte weichen. Letztendlich wird die Macht des Todes durch die Kreuzigung und Auferstehung Christi überwunden werden. Bevor es ein neues Leben geben kann, muβ eine Wandlung geschehen. Die Welt muβ auf den Kopf gestellt werden.

 

Nun leben wir als Christinnen und Christen in einer gewissen Spannung. Gott nimmt uns so an, wie wir sind, Gott empfӓngt uns mit all unseren Fehlern und Unzulӓnglichkeiten. Dies ist Gnade. Und nichts kann uns von der Liebe Gottes trennen, wie der Apostel Paulus sagt.

 

Doch könnte dies als Freifahrtschein miβverstanden werden. Dies könnte so verstanden werden, daβ ich tun und lassen kann, was ich will, daβ ich mich nicht zu ӓndern habe, daβ keine Wandlung in meinem Leben notwendig ist. Dies könnte so verstanden werden, daβ wir als Gesellschaft die Dinge einfach so akzeptieren, wie sie sind, und nicht versuchen, die Fehler im System zu verbessern.

 

Ja, Gott liebt uns bedingungslos; doch ist das Reich Gottes doch recht weit entfernt, wenn wir diese Liebe und die Gnade, die wir so reichlich von Gott empfangen haben, nicht weitergeben. Das Reich Gottes ist weit entfernt, wenn wir die dunklen Mächte in dieser Welt ignorieren oder gar unterstützen.

 

Lassen Sie uns doch einmal über die Mächte, von denen wir individuell und als Gesellschaft, besessen sind, nachdenken. Da mögen Dinge wie pschychische Krankheiten oder Abhängigkeit drunterfallen, doch möchte ich mich nicht so sehr auf diese konzentrieren; denn wir wissen hoffentlich alle, daβ sie ernstzunehmende Krankheiten sind, und daβ es der medizinischen Versorgung bedarf, und nicht nur der Willensstärke, um sie zu bekämpfen.

 

Nein, eine der Dinge, von denen wir heutzutage besessen sind, sind viel unterschwelliger: die Angst vor dem Fremden. Der Glaube, daβ eine starke Wirtschaft alle Probleme beseitigen wird. Unvernunft. Konsum um jeden Preis. Das trotzige Festhalten an unseren Meinungen und unserer Weltsicht, obwohl es genügend Beweise dafür gibt, daβ diese unwahr sind oder nur einen Teil der Wahrheit darstellen. Und dann gitb es da all die Worte, die auf ‘-ismus’ enden und die das menschliche Miteinander vergiften: Sexismus, Rassismus, Fundamentalismus, Extremismus, Terrorismus – und da gäbe es noch viel mehr, die deutsche Sprache hat hunderte von Worten, die auf ‘-ismus’ enden.

 

All diese ‘-ismen’ halten uns davon ab, das Reich Gottes, das uns nahegekommen ist, anzunehmen. Und ich denke, daβ wir auch heute einen Exorzismus (und noch ein Wort, das auf ‘ismus’ endet) für all diese Mächte, von denen wir besessen sind, brauchen. Es ist norwendig, daβ all diese Mächte ausgetrieben werden, bevor die Macht des Lebens und die Macht der Liebe unsere Herzen und diese Welt überwältigen kann – bevor das Reich Gottes unter uns verwirklicht wird. Und ja: solch ein Exorzismus würde die Welt auf den Kopf stellen. Stellen sie sich mal eine Welt ohne diese dunklen Mächte vor.

 

Letztendlich liegt es an Gott, und von all den Mächten, von denen wir besessen sind, zu befreien. Aber wir müssen zumindest willens sein, diese Mächte loszulassen. Und ist dies nicht etwas, was wir alle sagen, daβ wir es wollen? Wenn wir z.B. beten, ‘schaffe in mir, Gott, ein reines Herze, und gib mir einen neuen, gewissen Geist’, oder auch ‘dein Reich komme, dein Wille geschehe’? Der amerikanische Theologe Richard Rohr sagte einmal trefflich: ‘Wenn wir beten, ‘Dein Reich komme’, so heiβt das automatisch, ‘Mein Reiche gehe’. Und so ist unsere Teilnahme am Prozess der Befreiung und Verwandlung vonnöten – unsere Offenheit dafür, auch befreit zu werden.

 

Wie wir auf Christus und seine Lehren reagieren ist ein wichtiger Schritt zu dieser Befreiung. Sind wir entsetzt, wenn wir hören, was Christus uns lehrt? Stellen wir seine Autorität in Frage? Oder hören wir zwar hin, doch lassen wir diese Lehren nicht in unser Herz sinken? Oder erkennen wir, so wie der unreine Geist in der Synagoge, was hier auf dem Spiel steht? Erkennen wir, wer Christus ist? Erkennen wir seine Autorität und Macht über unser Leben an? Sind wir willens, uns der Macht Gottes hinzugeben?

 

Das Reich Gottes ist nahe herbeigekommen. Ein Reich der Gnade, der Vergebung, der Versöhnung, des Friedens, der Gerechtigkeit und der Liebe. Ein Reich, in den Weinen und Leid und Trauer und Tod nicht mehr sein werden. Dies ist Gottes Vision für uns und die gesamte Kreatur. Dies ist die Macht, der wir uns hingeben dürfen. Wir sind eingeladen, jene Welt, die auf den Kopf gestellt ist, zu betreten. Dies ist das neue Leben, das uns versprochen ist. Warum wollten wir uns dagegen wehren?