Vergeltet niemand Böses mit Bösem. Seid auf Gutes bedacht gegenüber jedermann. Ist’s möglich, so habt mit allen Menschen Frieden. ..Wenn dein Feind hungert, gib ihm zu essen; dürstet ihn, gib ihm zu trinken. Wenn du das tust, wirst du feurige Kohlen auf sein Haupt sammeln. Laβ dich nicht vom Bösen überwinden, sondern überwinde das Böse mit dem Guten.

Römerbrief 12, 17-18, 20-21

‘Ihr müβt die Menschen lieben, wenn ihr sie verändern wollt. Euer Einfluβ reicht nur so weit wie eure Liebe.’ Johann Heinrich Pestalozzi, Pädagoge und Sozialreformer (1746-1827)

Manchmal stelle ich gerne Fragen an die Gemeinde während meiner Predigten. Eine Frage, die ich in zwei verschiedenen Gemeinden stellte, war: Wer sind die Menschen in der Geschichte, die Sie am meisten bewundern? Und obwohl die Gemeinden recht unterschiedlich waren, kamen doch verblüffenderweise die gleichen Antworten: Mutter Theresa. Mahatma Gandhi. Nelson Mandela. Malala Yousafzai. Martin Luther King Jr. Doctors without Borders (Ärzte ohne Grenzen). Jesus Christus. Und: ‘Meine Mutter.’

Nun ist natürlich die Frage, welche Antworten in einem anderen Umfeld gegeben worden wären, z.B. in einer Sportarena. Doch fand ich es schon bezeichnend, daβ in einem christlichen Umfeld solche Leute benannt wurden, die für ihren selbstlosen Dienst und ihre Gewaltlosigkeit bekannt sind. Dabei spielt Religionszugehörigkeit keine Rolle, wie die Beispiele Gandhis und Yousafzais zeigen;  und auch die ‘Ärzte ohne Grenzen’ kommen aus unterschiedlichen Nationen und religiösen Umfeldern.

Wir bewundern Menschen, die es irgendwie schaffen, ihr Umfeld durch Liebe zu beeinflussen und zu verändern. Denn wir wissen alle, wie schwer dies ist: zu lieben, wenn wir Widerstand oder Ablehnung erfahren, oder gar Gewalt. Uns hinzugeben, ohne Verdienst zu erwarten. Dem, was uns fremd ist, ohne Vorbehalte zu begegnen. Unsere Worten oder Taten im Zaum zu halten, wenn wir uns angegriffen fühlen. Zu vergeben.

Ist es nicht naiv, zu erwarten, daβ wir, indem wir Gutes tun und uns des Bösen enthalten, die Welt zum Besseren verändern? Machen wir uns nicht zur Zielscheibe von Unverständnis, Haβ und Gewalt?

Der schreckliche Anschlag auf Menschen, die am vergangenen Montag einen Weihnachtsmarkt in Berlin besuchten, hat vierlerlei Reaktionen hervorgerufen. Angst. Ungewißheit. Trauer. Wut. Und da gibt es Stimmen, die die ‚Gutmenschen‘ beschuldigen, letzlich für das Attentat verantwortlich zu sein – Menschen, die sich dafür einsetzen, daß Menschen, die aus unvorstellbaren Situationen fliehen mußten, mit Menschlichkeit und Barmherzigkeit behandelt werden. Mit Nächstenliebe.

Denn da gibt es immer die Wölfe im Schafspelz, jene, die Gutes mit Bösem zu vergelten suchen. Die paar handvoll von Leuten unter hunderttausenden, die daruf aus sind, Menschen zu zertrennen und Terror zu verbreiten. Ein gewalttätiger Attentäter traurigerweise macht eben auch all jene verdächtig, die nun wirklich mit Gewalt nichts am Hut haben.

Versagt die Liebe also? Sind all die blblischen Passagen, die von Liebe sprechen, und ganz besonders die Worte Jesu, nur Ausdruck einer Utopie, eines naiven Hirngespinstes? Heißt Nächstenliebe, daß wir letzlich Schwächlinge sind und uns wie die Schafe in die Hand der Schlächter begeben?

Ich denke nicht. Alle, die in ihrem Leben wirklich geliebt haben, wissen, daß Liebe kompliziert und schwierig ist. Daß man an der Liebe arbeiten muß. Schließlich ist ‚lieben‘ ein Tuwort. Ja, Liebe macht uns verletzbar. Sehr sogar. Aber was wäre die Alternative? Gewalt, die nur Gegengewalt hervorruft, führt zur Hölle auf Erden. Nur Liebe hat die Macht, den Teufelskreis (man bedenke das Wort!) von Haß und Gewalt zu durchbrechen. Vielleicht gäbe es ja noch mehr Anschläge ohne die Liebe. Vielleicht hat ja die Erfahrung von Barmherzigkeit so manches dunkle Herz bekehrt. Wer weiß?

Die Liebe, die viele Menschen anderen gegenüber zeigten, führte in der Regl zu einer gewaltsamen Reaktion, denn ironischeweise fühlen sich die Mächte dieser Welt oft durch die Liebe besonders bedroht. Jesus starb am Kreuz. Gandhi und Luther King Jr. wurden ermordet. Malala Yousafzai entkam nur knapp dem Tod nach einem Attentat. Ärzte ohne Grenzen und Mitarbeiter anderer Organisationen, die in den Krisengebieten dieser Welt wohltätige Arbeit leisten, sind häufig das Ziel von Anschlägen.

Wir leben in einer Welt, in der die Macht der Fanatiker, der Stärkeren, der Gewalttätigeren, der Reichen, der Groβkonzerne zu herrschen scheint. Und die Macht des Egos. Uns wird häufig Furcht eingeflöβt, um uns zu steuern und zu beeinflussen. Doch, wie wir alle wohl wissen, überzeugt uns die Furcht nicht wirklich. Wir mögen die Macht des Stärkeren hinnehmen, doch regt sich in uns dabei häufig der Geist des Widerstandes. In Berlin gehen die Menschen fast trotzig ihrem Alltag nach und lassen sich nicht einschüchtern. Unsere Herzen lassen sich nicht wriklich durch physische, psyschische oder materielle Gewalt gewinnen, sondern nur durch Liebe, Zuwendung und das Gefühl, daβ wir respektiert werden.

Durch Liebe, Zuwendung und Respekt konnten und können Menschen wie Jesus, Malala, Mandela und Mutter Theresa Menschen auf ihre Seite bringen und ihr Umfeld zum Besseren verändern. Durch Liebe, Zuwendung uns Respekt haben auch wir die sanfte Macht, andere zu beeinflussen und zu verändern, das Böse zu überwinden, und dem Friedensreich Gottes entgegenzuleben. Auch und gerade in dunklen Zeiten.